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Aug 08 2011

IceBluemchen

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32. Ein Phönix kann nicht schwimmen

Völlig in Gedanken stand Marco unter der kühlen Dusche und dachte an jene Begebenheit zurück, die Leigh und ihn so eng zusammen brachten. Zwar waren sie schon vor diesem einschneidenden Erlebnis eng befreundet gewesen, aber diese eine Nacht hatte alles verändert und brachte sie dort hin, wo sie heute standen…

Einige Jahre zuvor…

Rau war die See an diesem Tag. Kalt peitschte der Wind über die Planken, jagte jeden unter Deck, der nicht für das Sichern des Schiffes notwenig war. Eisern hallten die Befehle des ersten Maaten über das Deck, trieben seine Untergebenen zu Schnelligkeit an. Das sie die kleine Insel noch vor hereinbrechen des Sturmes erreichten, war mehr Glück gewesen, hatte der Phönix viel riskiert, bei diesem Wetter unter vollen Segeln das Schiff voranzutreiben. Aber er vertraute dem Schiff und reizte die Stärke wieder einmal bis aufs äußerste aus.
„Setzt den Anker!“ brüllte Marco. Sogleich wurde die Halterung des Ankers gelöst und krachend sauste dieser in die schwere See. Hinauf zu den Segeln schauend, begutachtete er nicht nur das vorankommen des Segelreffens, sondern auch das Wetter.
Schwarze schwere Wolken drohten in der Ferne, Blitze zuckten und kündigten einen schweren Tropensturm an, der oft in diesen Gefilden tobte. Die Nacht würde ungemütlich werden, soviel stand schon einmal fest.
„Leigh? Leigh was macht du an Deck? Verschwinde sofort wieder in deine Kajüte!“ Das durfte doch nicht wahr sein, das sich die Kleine bei diesem Sauwetter und gegen den herrschenden Befehl hier herumtrieb.
„Marco mein Kater ist mir entwischt. Hast du ihn gesehen?“, fragte sie bibbernd und rieb sich die Arme.
„Was? Wegen dem Vieh bist du hier draußen? Ich bezweifle das sich der Streuner bei diesem Pisswetter hier raus wagt. Der treibt sicherlich wieder den Smutje in den Wahnsinn, weil er sich was klauen will.“ Marco hasste diesen Kater, wurde mit ihm einfach nicht warm. Das Tier fauchte ihn grundsätzlich an und hatte ihn auch schon mehrfach gebissen. Einige male war er kurz davor gewesen, sich diesen verlausten Kater zu schnappen und über Bord zu werfen, fing er nicht mal Mäuse. Nein, dieser Kater hatte Panik vor alles, was er eigentlich jagen sollte. Was für eine mieser Schiffskater!
„Ich habe ihn schon überall gesucht. Er muss hier draußen sein!“, entgegnete Leigh jedoch und schaute suchend über das Deck, wo sich ihr Kater nur verkrochen haben konnte.
„Leigh geh unter Deck, das ist ein Befehl!“, brüllte Marco sie nun an. „Aber…“, wollte sie wiedersprechen, jedoch genau in diesem Moment jagte eine harte Welle über die Planken und riss sie von den Füßen.
„Marco!“, schrie sie, als das Wasser sie zur Reling mitriss. Der Phönix reagierte noch vor ihrem Aufschrei, kämpfte gegen Wind und Wasser, um das zierliche Geschöpf zu erreichen.
„Verdammt Leigh, warum hörst du nie auf mich?“, brubbelte er sie an und riss sie auf die Beine. „Tschuldigung…“, schniefte sie und machte sich nun brav auf den beschwerlichen Weg zurück unter Deck. Auch Marco wollte wieder an einen sicheren Ort, war die Reling bei stürmischer See doch zu gefährlich, konnte man schnell von einer starken Windböe oder peitschenden Welle erfasst werden und über Bord gehen.

Leigh schrie auf, als sie wieder von einer Welle erfasst wurde und hart gegen die Reling schlug. Jedoch irgendetwas hatte sie gehalten oder irgendjemand. Wassermaßen drückten sie noch immer gegen das Holz, ließen sie panisch um sich schlagen und nach halt suchen. Aber der einzigste Halt war Marco, der sie fest umklammert hielt und selbst nach etwas suchte, an dem er sich festhalten konnte, bevor sie doch noch über Bord gespült werden würden.

Eisig war das Wasser. Wild wurde sie von den Wellen mitgerissen und immer wieder von der starken Strömung unter Wasser gezogen. Aber sie kämpfte gegen die Gewalt der Natur an und dies nicht nur für sich.
Es war eher ein Reflex gewesen, das sie sich fest an Marco klammerte, als sie über Bord gingen, aber genau dies rettete den Phönix wohl vor dem ertrinken. Sie hatte ihn am Hemd festgehalten und hochgezogen, versuchte seinen Kopf über Wasser zu halte, war sein Körper doch wie gelähmt und drohte in die tiefe kalte Dunkelheit abzutauchen.
Laut ertönte die Alarmglocke die signalisierte, das jemand über Bord ging. Aber zu Leighs schrecken, waren sie bereits Augenblicke nach dem Sturz, recht weit vom Schiff abgetrieben worden.
Angst beherrschte sie und langsam stieg auch Panik in ihr auf. Marco rührte sich nicht, gab kein Laut von sich, hing nur steif und schwer in ihren Armen, wie ein bleiernes Gewicht. Sie wusste, das er durch seine Teufelskraft hilflos war. Er würde ertrinken, wenn sie ihn losließe und dies wäre sein sicherer Tod.
Verzweifelt versuchte sie, wenigsten nicht noch weiter vom Schiff abgetrieben zu werden, aber das anschwimmen gegen die peitschende See und harten Winde, war aussichtslos. War es doch wie gegen das ankämpfen von Windmühlen.
Immer weiter trug die Strömung sie fort, drückte sie auf die offene See hinaus, in den sicheren Tod.

Hart schlug sie gegen den Fels an der Küste der kleinen Vorläuferinsel. Fast hätte sie dabei den Griff um Marcos Brust gelöst, aber nur fast. Sich mit letzter Kraft am Fels entlanghangelnd, immer wieder von tosenden Wellen dagegen geworfen, konnte sie sich und Marco auf den schmalen Strand retten.
Erschöpft und den Schöpfer um Dank bittend, blieb sie dort einen Augenblick liegen, versuchte zu Atem zu kommen und auch sich etwas zu beruhigen. Ihr Herz hämmerte wie wild in ihrer Brust, angetrieben von Angst, Panik und einer ordentlichen Dosis Adrenalin.
Aber noch waren sie nicht außer Gefahr. Immer wieder brachen tosende Wellen über sie zusammen, drohten sie wieder ins kalte Meer zurückzuziehen.
Noch ein letztes mal mobilisierte sie all ihre Kräfte und schleifte Marco vom Strand, hinüber zu den einzigsten drei Palmen, die auf dieser winzigen Insel wuchsen. Im hohen Dünengras liegend, bibbernd vor Kälte und verzweifelnd vor Angst.
Noch immer rührte sich Marco nicht. Ein Rinnsal Blut suchte sich seinen Weg, ausgehend von einer Platzwunde an seiner Stirn. ‚Warum heilt seine Teufelskraft ihn nicht?’, fragte sie sich leicht panisch. Sie hatte doch seinen Puls gefühlt, spürte wie er atmete und konnte sein Herz schlagen hören, wenn sie ihr Ohr auf seine Brust legte. Aber warum blieb der Phönix untätig und folterte sie mit der Ungewissheit über seinen Zustand.
Einen Stofffetzen seines Hemdes auf seine Stirn drückend, bettete sie seinen Kopf auf ihren Schoss. Angelehnt gegen eine der Palmen, harte sie so der kommenden Dinge aus. Hoffend er würde bald aufwachen und sie nicht länger in ihrer verzweifelten Todesangst alleine lassen.
„Sicherlich macht Paps sich große Sorgen!“, schniefte sie, ihren Tränen freien lauf lassend, half ihr das weinen, etwas die Anspannung fallen zu lassen.
„Es ist alles meine Schuld!“, schluchzte sie und strich sanft über Marcos Kopf. Begutachtete die Platzwunde, die längst aufgehört hatte zu bluten. „Warum hab ich nur nicht auf dich gehört?“, warf sie sich selbst vor. „Oh ich werde nie mehr ungehorsam sein, wenn wir dies hier überleben!“, schor sie sich und wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht.
„Das will ich auch hoffen!“, flüsterte Marco und stöhnte gequält auf, fasste sich an seinen Kopf, dröhnte sein Schädel, als habe er den Sakevorrat eines ganzen Jahres ausgetrunken.
„Ahh Marco!“, schrie Leigh freudig und drückte ihn enger an sich, sodass er sein Gesicht nun zwischen ihren Brüsten wiederfand.
„Mhh…“, schnurrte er sofort wie ein Kater, dem man das Lätzchen kraulte. Leigh entging dies nicht und als sie den Grund begriff, lief sie tief rot an und drückte ihn von sich. Langsam setzte er sich auf und hielt sich dabei wieder seinen Kopf.
„Das eben war schön. Das sollten wir bei passender Gelegenheit einmal wiederholen.“, sprach er, wobei seine Stimme leicht lallte. „Du Ferkel!“, schrie sie ihn an und hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst. Aber anstelle dieser, fing sie ihn auf, kippte er gerade benommen zur Seite.
„Marco alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie ängstlich.
„Mit ist schwindlig und ich glaub, mein Kopf explodiert gleich.“, antwortete er mit zittriger Stimme und wollte sich wieder an den Kopf fassen.
„Nicht, du hast eine Platzwunde, die bereits wieder leicht blutet.“ Sanft schob sie seine Hand wieder nach unten und platzierte den Stofffetzen seines Hemdes erneut auf der Wunde. Leicht kniff er die Augen zusammen und verzog das Gesicht vor Schmerz.
„Ich glaube du hast eine Gehirnerschütterung. Als wir gegen die Felsen geschleudert wurden, musst du mit dem Kopf wohl alles abgefangen haben.“, sprach sie und zog ihn so an sich, das er seinen Kopf an ihrer Schulter ablegen konnte.
„Wozu mein Kopf alles gut ist.“, scherzte er und lächelte dünn.
„Das ist nicht lustig!“, fuhr sie ihn an, deutlich ihre Angst in der Stimme mitklingend. „Warum heilt deine Teufelskraft dies nicht? Sonst heilt sie dich doch immer, holt dich sogar ins Leben zurück. Warum jetzt nicht?“ Sie hielt ihn fest umklammert, seine Nähe gab ihr wenigsten etwas halt und wärme, wobei auch Marco stark zitterte vor Kälte.
„Das ist nicht so leicht zu erklären. Das Heilen kostet mich einiges an Kraft und momentan habe ich wohl nicht genügend.“, versuchte er seine Situation zu analysieren.
„Aber du wurdest doch auch schon erschossen, warst gestorben und bist wieder aufgewacht.“, sprach Leigh fragend, verstand sie nicht, wie dies alles so recht funktionierte.
„Das ist so ähnlich wie jetzt. Wenn ich nicht mehr die Kraft besitze mich zu heilen und meine Verletzungen zu schwer sind, ergebe ich mich dem Tod. Der Phönix übernimmt dann mein handeln und holt mich zurück, gibt mir die Kraft um die Wunden zu heilen. Aber im Anschluss, wenn ich wieder als Mensch erwache, verlässt mich die geborgte Kraft des Phönix und ich brauche einige Tage Ruhe und schlaf, um meine Reserven wieder aufzutanken.“, versuchte er ihr die Fähigkeiten des Phönix zu erklären. Es fiel ihm schwer die Symbiose zwischen ihm und den Phönix in Worte zu fassen, war es ein sehr komplexes Gebilde aus vielen kleinen Details und merkwürdigen Anwandlungen. Wie sollte er ihr es nur beschreiben? Wie ihr erklären, das eine Art zweite Seele in ihn schlummerte und doch gänzlich seine war.
„Aber du wirst jetzt doch nicht sterben?“, fragte sie ängstlich und richtete Marco auf den wichtigsten Gedanken. Wie sollte er ihr beibringen, das für ihn der Tod nur ein Weg zurück ins Leben war? Er den Tod in manchen Situationen begrüßte, wenn er dadurch einen geliebten Menschen vor dem selbigen Schicksal bewahren konnte.
„Nein, keine Angst. Ein angeschlagener Kopf bringt mich schon nicht um.“, entgegnete er und rang sich gar ein lächeln ab. Ein starker Schmerz fuhr durch seine Brust und ließ ihn schmerzlich aufstöhnen. Ängstlich zuckte Leigh zusammen und hielt ihn haltsuchend im Arm. „Marco!“, schluchzte sie, fühlte sie tief in sich wieder Panik aufkeimend.
„Nur Kopfschmerzen!“, log er, wollte er sie nicht noch mehr ängstigen oder das sie gar in Panik verfiel. Jedoch spürte er tief in sich, das etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Leise fauchte der Phönix, bot ihm die verlockende Erlösung von seinem erschöpften sein und dem peinigenden Schmerz.
Aber er durfte jetzt nicht aufgeben. Durfte Leigh nicht allein lassen. Durfte nicht in ihren Armen sterben und sie damit zu Tode ängstigen.
„Kannst du mir etwas von dir erzählen?“, fragte sie plötzlich und sah ihn verlegen an. „Es ist nur damit du nicht einschläfst. Ich glaube dies ist bei einer Gehirnerschütterung nicht gut…“, überlegte sie nun, was ihr Schwager Doc noch einmal genau über die Pflege eines Patienten mit Gehirnerschütterung gesagt hatte. „Oder sollten sie schlafen…?“, dachte sie laut nach, brachte dies Marco jedoch zum schmunzeln und er begann ihr eine kleine Abenteueranekdote zu erzählen, in der Thatch und er arge Schwierigkeiten mit einem Sakehändler bekamen, weil sie für den guten Tropfen ihrer Paps nicht genügend Berry beisammen hatten, jedoch keinesfalls ohne zurückkehren wollten.

Noch lang fegte der heftige Tropensturm über die kleine Insel, peitschend prasselte der Regen hernieder und der Wind blies in rauer Härte, riss alles mit sich, was sich nicht gegen ihn erwähren konnte.
Jedoch mit dem Morgen ebbte das Unwetter ab und erste Lichtfetzen am Horizont begrüßten den neuen Tag und verjagte die schwere dunkle Nacht.
„Marco bitte lass mich nicht allein!“, schluchzte Leigh, hatte der erste Maat vor wenigen Augenblicken das Bewusstsein verloren und lag nun schlaff in ihren Armen. Tränen voller Angst und Verzweiflung rannen ihr Gesicht hinab und vielen auf Marcos durchnässtes Hemd. Sie spürte wie das Leben ihn langsam verließ und auch wenn sie wusste, das es für ihn nicht das Ende bedeutete, so fühlte sie tief in sich eine schwere Schuld. Glaubte sie ihre Dummheit, nicht auf einen seiner Befehle gehorcht zu haben, wäre der Auslöser für diese miserable Situation gewesen.

Weit war der Schrei des Phönix zu hören, jagte über das Meer und lockte seine Familie zur kleinen Insel. Schützend wachte er über Leigh, war sie erst vor kurzem eingeschlafen, als sie erleichtert sah, wie aus den blauen Flammen der maiästhetische Vogel sich erhob und die ersehnte Rettung herbei rief.
Erst als er Leigh wieder sicher auf der Moby Dick wusste, gut versorgt und umsorgt, gab Marco den Phönix frei. „Marco, Leigh und du haben uns aber einen gehörigen Schreck eingejagt.“, sprach Thatch und konnte seinen Freund gerade noch abfangen, sackte er einfach erschöpft in sich zusammen und entschwand dem klaren Bewusstsein.
Tage waren seit her verstrichen und schniefend beobachtete Leigh Marco, wie er seinen geruhsamen Erholungsschlaf auf der Krankenstation bekam und alle Viere von sich gestreckt, es sich in seinem Krankenbett bequem machte.
Seufzend biss sie sich auf ihre Unterlippe, fand sie es doch sehr niedlich, wie er so dalag und einen kleinen unbewussten Kampf mit der Decke ausfocht, weigerte sich das störrische Dingens, ihn die wohlige Wärme zu spenden, für was es eigentlich gedacht war. So erbarmte sie sich und erhob sich aus ihrem Bett, hatte sie doch wegen einer schweren Erkältung mehrere Tage Bettruhe verordnet bekommen. Nun aber deckte sie ihren Phönix zu und schmunzelte bei diesem Gedanken, der ihr sehr gefiel…

Marco drehte das Wasser zu und trocknete sich ab. Wenn er so daran dachte, wie er nach diesem Ereignis leichtfertig eine Beziehung mit ihr eingegangen war, könnte er sich noch heute in den eigenen Hintern treten. Nicht das es ihm nicht gefallen hatte und Leigh sich als kleine leidenschaftliche Wildkatze im Bett entpuppt hatte, aber es war einfach nicht richtig gewesen.
Sie war mit ihren sechszehn Jahren zu jung gewesen, als das sie Schuldgefühle von Liebe hatte unterscheiden können. Und er selbst war sich auch nicht sicher gewesen, was er gewollt hätte.
Eine lockere Beziehung mit einem Mädchen war eines, aber eine feste Beziehung etwas anderes.
Seufzend trat er an den Spiegel und machte sich ans rasieren. Seine Beziehung heute zu Leigh war geklärt. Sie waren Freunde, sah sie ihn als ihren großen beschützenden Bruder und er sie als seine kleine Schwester. Es war gut so, wie es war… auch wenn er in mancher Nacht ihre Nähe und Leidenschaft vermisste…

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