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Jan 13 2011

IceBluemchen

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19. Chaos der Gefühle

Er war es wirklich!
Gerade war ich Legolas über den Weg gelaufen. Hier, am derzeit wohl schrecklichsten Ort auf der gesamten Welt, zu einer wirklich sehr unpassenden Zeit.
Es war Krieg!
Dort draußen starben Menschen!
Und ich saß hier am Krankenbett meines Bruders, der genau in diesem Krieg das Grauen am eigenen Leib erfahren hatte und ich kann an nichts anderes mehr denken, als an ihn.
Er hatte mich vermisst, gesucht und war enttäuscht, das ich fort gewesen war. Deutlich hatte ich gespürt, wie sehr ihm dies wehgetan hatte. Er hatte geglaubt mich verloren zu haben. Mich! Ich war ihm wichtig, vielleicht so wichtig, wie er mir wichtig war.
Seufzend kuschelte ich mich in den bequemen Sessel, der neben Aros Bett stand und döste ein. Ein freudiger Traum erfasste meine Gedanken und malte mir ein Bild aus Glück und Frieden.

Ich sah mich zusammen mit Legolas über die Wiesen des Schlossgarten reiten. Wir lachten und waren glücklich. Wir setzten uns an den Schlossteich an unseren geheimen geliebten Platz. Das weiche Gras streichelte meine Haut und die Sonne liebkoste mein Gesicht. Der Wind fuhr zärtlich durch mein Haar. Genießend schloss ich die Augen und lauschte dem Lied, das Legolas leise vor sich hinsang. Obwohl ich mittlerweile besser elbisch sprach, als die menschliche Sprache, verstand ich nur wenige Wortfetzen. Es war ein trauriges Lied über eine verlorene Liebe, die von der Zeit verschlungen wurde. Das Lied verstummte und ich schaute in die Richtung wo er lag. Doch er war fort und ich lag nicht mehr an dem Teich. Um mich herum war Feuer und Tod. „Legolas wo bist du?“ rief ich in das Grauen, aber keine Antwort kam. Angst packte mich. Wo war er nur hin? Wo war ich hier? Ich wollte nur weg, aber wohin?

Abrupt wachte ich auf und erkannte, das es Morgen geworden war. Die Sonne strich über mein Gesicht und die Erinnerung an meinen Traum kam zurück.
Die Melodie des Liedes lag mir im Ohr und ich dachte an den Inhalt. Eine Liebe die durch die Zeit zerstört wurde. Zeit in denen die Liebenden getrennt waren und sie sich nicht mehr kannten, gar hassten.
Angst keimte in mir auf. Ob es Legolas und mir auch so erging. Mehr als ein Jahrhundert hatten wir uns nicht gesehen. Er muss geglaubt haben, das ich tot sei und hat sicher sein Leben unbeschwert weitergelebt. Warum sollte er auch lange an mich denken? Er hatte geglaubt, ich sei ein Mensch und Menschen sterben früher oder später. Eine Zukunft hatte für uns nie bestanden. Sicherlich hatte nie eine Zukunft für uns bestanden. Wir haben allen etwas vorgespielt.
‚Oje, Minuil hör auf so etwas zu denken!’ ermahnte ich mich selbst. ‚Er hat doch gesagt, das er dich vermisst hatte. Oder nein, ich habe dies gesagt. Er hatte nur gesagt, das er mich gesucht hatte und dachte, mich für immer verloren zu haben!’ Das durfte doch nicht war sein! Ich sollte mich freuen, das ich ihn endlich nach so langer Zeit wiedergefunden hatte und dann kreisen meine Gedanken darum, das er mich nicht mehr mag.
Natürlich mag er mich! Er hat mich fest umarmt und sah glücklich aus.
Innerlich ohrfeigte ich mich für meine dummen Gedanken und schwor mir, erst einmal mit ihm in aller Ruhe zu sprechen, bevor ich weiter über so etwas nachdenken wollte.

Seufzend stand ich auf und schaute nach Aro. Er schlief noch immer, aber jetzt im Tageslicht sah er nicht mehr so blass aus, wie am Abend und in der Nacht. Ich strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fühlte seine Stirn. „Kein Fieber!“ sprach ich leise zu mir und schaute mich dann um. Am anderen Ende des Zimmers gab es einen kleinen Tisch, auf dem eine Schüssel und ein Krug standen. Ich wollte Aro waschen und dann einen Heiler bitten, seine Wunde neu zu verbinden. So nahm ich den Krug und lief hinaus auf den Flur. Ich fragte einen Helfer, wo ich Wasser und Handtücher finden konnte und er bot mir seine Hilfe an. Er führte mich in eine Kräuterküche nicht unweit von Aros Zimmer, wo ich Wasser, wohlduftende Kräuter und Handtücher vorfand. Gemeinsam gingen wir zurück, wobei er den schweren Krug trug.
Erst jetzt im Tageslicht sah ich, wie zerkratzt und schmutzig Aro war. Im Fahlen Kerzenlicht sah alles nicht so schlimm aus. Wir wuschen ihm die Schmutzreste ab und seine gebräunte Haut kam mehr oder weniger gesund zum Vorschein. Die Kratzer waren mehrere Tage alt und mussten von seiner Flucht her stammen. Während der Helfer das Wasser wieder fort brachte und einen Heiler rief, zog ich Aro eine frische Leinenhose an. Gerade als ich die Bänder am Bund zuband, erwachte er schläfrig.
Zögerlich öffnete er seine Augen und blinzelte einige male gegen das Licht an. Müde strich er sich über das Gesicht und schaute sich um. „Minuil?“ fragte er mit zittriger Stimme. „Ja kleiner Bruder. Ich bin hier!“ antwortete ich ihm und hielt ihn zurück, da er sich aufsetzen wollte. „Bitte bleib liegen. Du bist verwundet worden und du willst doch nicht, das die Wunde wieder aufgeht oder?“ ermahnte ich ihn und er lies sich lächelnd in die Kissen sinken. „Es war also kein Traum?“ fragte er mich und seine Stimme wurde langsam sicherer. „Nein, kein Traum! Wir sind tatsächlich hier und haben in einer Schlacht gekämpft. Aber das wichtigste ist, das wir leben und zusammen sind!“ sprach ich und strich ihm liebevoll über die Wange. „Ich wollte nach Hause kommen. Aber mein Weg war mir abgeschnitten und sie verfolgten mich.“ Sprach er entschuldigend, aber ich schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich weis was geschehen ist! Eomer hat mir alles erzählt und ich kann deine Beweggründe verstehen. Auch wenn ich mich aus dem Krieg lieber herausgehalten hätte.“ Erklärte ich und schaute in sein nun irritiertes Gesicht. „Du hättest dich niemals aus den Krieg herausgehalten!“ stellte er klar. „Du die wie versessen den Dolchkampf von Großvater erlernen wolltest und erst dein Schwertkampf. Auch wenn du es nicht wahr haben willst, du bist eine Kriegerin und Krieger ziehen in den Krieg und kämpfen in Schlachten!“ Ich schüttelte abwehrend den Kopf. „Nein, dies ist nicht unser Krieg!“ meinte ich, aber nun schüttelte Aro leicht den Kopf. „Es ist unser Krieg, denn es betrifft die gesamte Welt und unsere Heimat. Fällt Gondor, ist Rohan als nächstes dran und danach werden sie in die nördlichen und südlichen Lande einfallen, wenn sie es nicht schon sind!“ sprach er und schaute mich durchdringend an. „Minuil, ich habe dich kämpfen sehen, wie du die Orks erschlagen hast und durch die Menge der Krieger getanzt bist. Du bist ein besserer Krieger als ich, denn ich…“ er unterbrach sich und schaute auf seine Brust. „Wie schlimm ist es eigentlich?“ fragte er und schaute auf den Verband, zupfte etwas daran herum und verzog leicht schmerzlich das Gesicht. „Es sieht schlimmer aus, als es wohl ist. Der Heiler sagte, das es eine hässliche Narbe geben wird. Aber du wirst wieder gesund und nur das zählt!“ sprach ich und zog seine Hand vom Verband fort, damit er sich nicht weiter weh tat oder gar die Wunde wieder aufging. „Eine hässliche Narbe?“ sprach er fassungslos und schaute aus, als wäre das der Weltuntergang. „O ja, eine große hässliche Narbe!“ antwortete ich ihm und musste mir das Lachen verkneifen, da Aro so aussah, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
Mein kleiner Bruder war sehr bedacht auf sein Aussehen. Nicht wie ein Schönling oder Weiberheld, sondern eben wie sein Bild von Elben nun einmal war und ihn in Sonnenlande vorgelebt wurde. Sauber, wohl gekleidet und makellos. Eine Narbe passte da so gar nicht in sein Bild. Aber ich wollte ihn nicht weiter quälen und erlöste ihn. „Aber mach dir nichts draus! Narben verblassen und verschwinden, aber die Erinnerung an diese echt lustige Mine, werde ich nie vergessen!“ sprach ich und prustete los, als Aro mich verwirrt ansah. Ich konnte ihn förmlich denken sehen und dann machte es wohl Klick und auch er lachte nun.
Ein Fehler, da ein Schmerz seine Brust durchzog und er scharf die Luft einzog und die Zähne zusammenbiss. „Tut mir Leid, das wollte ich nicht. Bitte beruhig dich. Alles wird wieder gut.“ Sprach ich und versuchte ihm irgendwie zu helfen. Schwer atmend lag er nun in den Kissen und konzentrierte sich darauf, sich nicht zu bewegen. Der Schmerz lies nach und er entspannte sich wieder. Mir viel ein Stein vom Herzen und ich schwor mir, ihn in den nächsten Tagen nicht noch einmal zu ärgern.
Nun lag er schlaf in seinem Bett und schaute mich gedankenverloren an. Sein Magen knurrte und ein schmunzeln stahl sich auf seine Lippen. „Ich glaube ich habe Hunger!“ sprach er und ich wollte schon aus dem Zimmer stürmen und ihm etwas holen, als der Heiler und der Helfer von eben eintrafen. Der Heiler hatte ein Tablett mit Salbe und Tinkturen dabei, während der Helfer Verbände dabei hatte. „Dann muss essen wohl warten.“ Sprach ich und blieb. Aro verzog darüber das Gesicht. Er hätte essen jetzt dem Verbandswechsel vorgezogen.
Der Heiler begutachtete erst Aros Zustand allgemein. „Wie fühlen sie sich?“ fragte er ihn, woraufhin Aro schmunzelnd antwortet. „Hungrig, müde und etwas kraftlos. Sonst aber recht gut.“ Der Heiler nickte und machte sich daran, den Verband zu lösen. Natürlich konnte Aro sich einen Blick auf die Wunde nicht verkneifen und stöhnte auf, als er die riesige Wunde besah. „Sie heilt gut ab!“ sprach der Heiler und nahm eine der Tinkturen vom Tablett. Er tränkte ein Tuch damit und reinigte dann die Wunde von Blut und Salbenresten. Aro stockte der Atem und wieder biss er die Zähne zusammen. Es musste höllisch wehtun, so wie er das Gesicht schmerzlich verzog. Aber der Heiler beeilte sich und trug im Anschluss erneut die Salbe auf, die nach Kamille und Ringelblume roch. Nachdem der neue Verband angelegt war, dachte Aro nicht mehr an Essen, obwohl sein Magen immer lauter knurrte. Er wollte nur noch den Schmerz vergessen und schlafen.
Dennoch ging ich eilig zur Kräuterküche, wo für die Verwundeten auch Essen bereit stand. Ich entschied mich für eine Gewürzsuppe mit viel Gemüse. Sie würde satt machen und wenn sie so schmeckte, wie sie roch, würde Aro ihr nicht wiederstehen können. Als ich wiederkam, war nur noch der Helfer da. Er hatte auf mich gewartet und lies uns nun wieder alleine.
Aro hatte die Augen geschlossen, aber als ihm der Duft der Suppe in die Nase stieg, riss er sie auf und spähte nach der Schale. „Was ist das?“ fragte er neugierig und wieder knurrte sein Magen. „Gewürzsuppe mit Gemüse.“ Antwortete ich und Aro verzog das Gesicht. Gewürzsuppe gab es nicht in Sonnenlande, war es doch ein typisches Menschengericht und woher sollte er sie daher kennen. „Zieh nicht so ein Gesicht. Mund auf und runter damit.“ Sprach ich und schob ihm den ersten Löffel in den Mund. Erst schmeckte er vorsichtig, aber dann kam er auf den Geschmack und aß die Suppe ganz auf.
Ihn zum schlafen auffordern brauchte ich nicht, da er fast sofort nach dem Essen einschlief. Leise schlich ich mich aus dem Zimmer und holte nun auch mir etwas zu Essen. Gewürzsuppe und Brot und sie schmeckte wirklich sehr gut. Den Rest des Tages verbrachte ich wartend und grübelnd. Wartend das Aro wieder aufwachte, aber auch wartend auf Legolas, um den sich meine gesamten Gedanken drehten und mir die abstrusten Szenen vorschwebten.
Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich an meinen Traum der letzten Nacht dachte und mich darin verlor. Es machte mir Angst zu denken, das es vielleicht wirklich so war. Was sagte es schon aus, das er glücklich war, mich zu sehen. Es bedeutete nur, das er mich nicht hasste, doch es sagte nichts genaueres über seine Gefühle aus. Ich selbst hatte ihm offen gesagt, das ich ihn vermisst hatte. Ich erkannte, das ich ihn sogar sehr vermisst hatte und schalte mir selbst Rüge, das ich unser Wiedersehen so lange hinausgezögert hatte. Jedoch in Sonnenlande war ich nie so deutlich zur Erkenntnis gelangt, wie sehr er mir gefehlt hatte und wie viel er mir bedeutete. Hier hatte ein Augenblick ausgereicht und all meine Gedanken fokussierten sich auf ihn. Er hatte es im Bruchteil eines Wimpernschlags geschafft, meine Gefühle aufzuwühlen und mich vollkommen durcheinander zu bringen. Ein Gedankenwirrwarr und Gefühlschaos durchströmte mich und brachte mich fast um den Verstand.
Doch das schlimmst daran war, das je länger ich mich ins grübeln über seine und meine Gefühle hineinsteigerte, ich immer verwirrter wurde.
Bis zum Abend hatte ich es sogar so weit geschafft, das ich mir über nichts mehr im klaren war und ich mir nur noch wünschte, das er endlich kam und sich alles klärte.

Doch er kam an diesen Abend nicht mehr.
Der Krieg lies uns keinen Moment der Ruhe.
Es war nicht die Zeit für Gefühle.
Der Krieg machte keine Pause und der Feind duldete keinen Hauch von Schwäche.

Die Entscheidungsschlacht am schwarzen Tor stand bevor und ich blieb im Chaos der Gefühle zurück. Unsicher, ob ich je die Chance bekommen würde, dieses Chaos in Klarheit zu wandeln und einer glücklichen unbeschwerten Zukunft entgegen sehen zu dürfen.

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