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Jan 13 2011

IceBluemchen

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16. Entscheidungen

Völlig in Gedanken versunken saß ich auf dem Sofa in Großmutters Hütte und starte Löcher in die Decke. Großvater und Aro waren auf der Jagt und würden erst in einigen Tagen wiederkommen. So blieb mir genügend Zeit um über das mir bevorstehende Gespräch nachzudenken, ohne das Aro mich ständig ablenkt.
„Minuil stimmt etwas nicht? Du bist heute beim Abendessen so still gewesen. Bedrückt dich etwas?“ Riss mich Mutter aus meinen Gedanken.
„Es ist nichts. Ich hab nur nachgedacht und…“ Wieder verfiel ich ins grübeln. War jetzt der rechte Zeitpunkt?
„Und was hat deine Gedanken so gebannt?“ Hackte sie nach.
„Der Düsterwald!“ Antwortete ich ehrlich, denn jeder meiner Gedanken endete immer dort.
„Oh. Hast du sie immer noch nicht vergessen?“ Meinte sie erstaunt.
„Wie könnte ich sie jemals vergessen? Auch wenn ich es lange versucht habe, muss ich mir doch eingestehen, das ich es nicht kann. Sie sind in meinen Träumen und tief in meinem Herzen. Sie sind meine Freunde.“ Gab ich ihr zu verstehen und ich wusste, das jetzt die Zeit gekommen war, endlich die Wahrheit zu erfahren.
„Es ist eine ferne Vergangenheit. Du solltest nicht mehr daran denken, sondern lieber an das Jetzt.“ Meinte sie und wollte mich wieder alleine lassen. Aber ich lies sie nicht gehen. Ich wollte endlich Antworten!
„Wieso? Weil Elben und Menschen keine Zukunft haben dürfen?“ Fragte ich recht hart nach.
„Es bedeutet nur Leid und Trauer. Stürz dich nicht in so ein Unglück!“ Sprach sie mit einem Unterton der Bedeutete ‚Dieses Thema ist damit beendet!’. Aber nicht für mich! Mich stachelte es erst richtig an.
„Wenn du so denkst, warum hast du dann diesen Weg gewählt? Warum wählte Großmutter diesen Weg? Warum darf ich nicht diesen Weg wählen?“ Hackte ich energisch nach.
„Ich habe deinen Vater geliebt und diese Entscheidung fiel mir nicht leicht.“ Kam es als Antwort und Mutter klang nun deutlich gereizt. Sie wollte nicht über dieses Thema reden.
„Und du Großmutter?“ Fragte ich auch Großmutter, die neben dem Fenster auf einem bequemen Sessel saß und im Schein einer Laterne eine Tunika bestickte.
„Auch ich liebte deinen Großvater so sehr, das ich mich für ihn entschied. Auch in dem Wissen, das er nur eine kurze Zeit meines Lebens für mich da sein wird. Ich bereue es nicht. Schenkte mir diese kurze Zeit doch mein größtes Glück.“ Antwortete sie mir mit freundlicher Stimme. Ihre Gedanken waren bei meinem Großvater und zauberten ihr ein Lächeln auf die Lippen. Sie liebte ihn noch heute und schenkte ihr bis heute freudige Gedanken und Gefühle.
„Ihr wart glücklich mit eurer Entscheidung. Großvater und Vater waren Glücklich. Warum darf ich nicht glücklich sein?“ Wollte ich nun wissen. Sie waren mir diese Erklärung schuldig.
„Es ist eine schwere Entscheidung. Du warst damals noch zu jung, noch ein Kind. Wie solltest du begreifen, ob es wirklich das war, was du für den Rest deines Lebens wolltest.“ Antwortete mir Mutter und ich spürte deutlich ihren inneren Kampf.
„Viele meiner Freundinnen haben sich in diesem Alter entschieden. Warum sollte ich mir Zeit lassen?“ Dies war doch eine berechtigte Frage. In Rohan war es üblich gewesen, das sich eine junge Frau mit erreichen des fünfzehnten Lebensjahr auf Männerschau begab und Männer um sie werben durften.
„Du warst noch ein Kind!“ Brachte Mutter energisch hervor.
„Ein Kind? Ich war eine junge Frau! Eine Frau in dem Alter, wo sie ihren Gefährten erwählt.“ Meinte ich und langsam wurde unser Gespräch lauter.
„Nein! Du irrst dich!“ Widersprach sie mir.
„Ich irre mich? Wieso? Wieso irre ich mich?“ Das konnte doch nicht sein. Sie kannte die Geflogenheiten in Rohan sehr genau. Doch wieso zählten sie nicht für mich?
„Weil… Weil du noch zu jung warst!“ Sprach sie wütend. Zum ersten Mal erlebte ich sie richtig wütend.
„Das hast du mir schon gesagt! Wieso war ich zu jung?“ Gab ich nicht auf. Es musste für alles eine Erklärung geben, und ‚zu jung’ lies ich nicht gelten.
„Erulas! Es wird Zeit!“ Wand nun Großmutter ein.
„Nein Mutter!“ Widersprach Mutter jedoch ihrer Mutter. Sie wollte es nicht. Tränen standen in ihren Augen, doch es waren keine Tränen der Wut.
„Zeit?“ Fragte ich etwas irritiert. Großmutter und Mutter wussten definitiv um ein Geheimnis um mich und nun war die Zeit gekommen, das wohl größte Geheimnis in meinen Leben zu lüften.
„Zeit mir endlich zu sagen, das ich kein Mensch bin? Zeit mir zu offenbaren, das ich unsterblich bin? Zeit mir zu gestehen, das ich damals meine Entscheidung auf einer falschen Grundlage fällte?“ Platzte es aus mir heraus und Mutters Reaktion sprach für sich.
„Minuil…“ Bekam sie nur geschockt heraus. Ihre Tränen bahnten sich nun ihren Weg ihre Wangen hinab. Ich hatte recht. Ihre Tränen waren die Bestätigung.
„Ich hätte zu ihnen zurück kehren können! Ich hätte glücklich werden können!“ Schluchzte ich, denn die Wahrheit zerriss mir das Herz.
„Es tut mir Leid. Aber wie hätte ich es dir sagen können. Ich konnte es ja nicht einmal dem Mann sagen, den ich so sehr liebte!“ Sprach Mutter mit gebrochener Stimme und wischte ihre Tränen fort.
„Vater wusste nichts davon? Er wusste nicht, das du unsterblich bist?“ Es schockierte mich, das sie Vater angelogen hatte.
„Ich war jung und als Elbe aufgewachsen. Ein sterbliches Leben war für mich undenkbar. Und dann traf ich deinen Vater…“ Sie weinte wieder. Die Erinnerung an Vater schmerzte sie sehr.
„Du hättest es ihm sagen müssen!“ Meinte ich erbost.
„Und was hätte es genützt? Nichts außer Leid und Trauer. Vater hätte immer mit dem Gedanken gelebt, das er uns eines Tages zurück lassen wird. Dies wollte ich nicht. Ich wollte ihm nicht diesen Kummer aufbürden.“ Schluchzte sie. Sie hatte Vater so sehr geliebt, das sie ihn lieber im Unwissen lies, damit er unbeschwert Leben konnte.
„Aber du hättest es mir sagen müssen!“ Sprach ich und nun liefen auch mir Tränen die Wangen hinab.
„Ich wollte dich nicht verlieren, Minuil! Aro und Du ihr seit das einzigste war mir von Aromer geblieben ist. Ich wollte euch nicht verlieren!“ Irgendwie konnte ich Mutter ja verstehen, aber dennoch lebte ich seit mehr als dreißig Jahren in dem Glauben, sterblich zu sein.
„Und warum hast du nichts gesagt?“ Fragte ich Großmutter.
„Ich hatte kein Recht dazu. Es war die Entscheidung deiner Mutter, es solange wie möglich vor euch zu verbergen.“ Antwortete sie mir und nahm mich in den Arm, um mich zu trösten. Ich beruhigte mich und Atmete einmal tief durch, bevor ich weiter sprach.
„Warst du deswegen Böse auf Mutter, als sie dir von Legolas und Jolan erzählte?“
„Du hast es gemerkt?“ War Großmutter erstaunt.
„Ja, deine Mine verriet es für einen kurzen Augenblick.“ Erklärte ich ihr und musste nun leicht grinsen. Sie war über meine Beobachtungsgabe erstaunt und hatte wohl gedacht, das ich dies damals nicht mitbekommen hatte.
„Ich habe es damals für Falsch empfunden. Wie du selbst sagst, hast du deine Entscheidung darauf getroffen, das du glaubtest, du seihst ein Mensch. Eine Entscheidung, die nicht auf dieser Grundlage hätte getroffen werden dürfen. Erulas hätte diese Grundlage nicht akzeptieren dürfen!“ Meinte sie und stellte mich nun vor sich. Sie schaute mir tief in die Augen und fragte mich etwas, das ich zu diesem Zeitpunkt unmöglich beantworten konnte.
„Minuil, wenn du es damals schon gewusst hättest, wie wäre dann deine Entscheidung ausgefallen? War dies der einzigste Grund, warum du gingst oder gab es da noch andere?“ Ich überlegte, doch diese Frage konnte nicht spontan beantwortet werden.
„Ich weis es nicht!“ Gab ich zu und schluckte. Ich wusste es nicht! War es der einzigste Grund? Oder gab es doch noch mehr, weshalb ich mich aus dem Leben meiner zwei geliebten Elben stahl?
„Dann solltest du darüber nachdenken!“ Sprach Großmutter mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Ja, das sollte ich. Danke Großmutter.“ Ich war ihr sehr dankbar und umarmte sie. Doch letztendlich musste ich mich auch bei Mutter bedanken. Sie hatte Aro und mich nur beschützen wollen. Sie wollte Vater nicht wehtun. Sie wollte nur unser aller Bestes. Es musste schwer für sie gewesen sein, dies die ganze Zeit zu verbergen. Vor allem mit dem Wissen, das wir eines Tages zu ihr kommen und die Wahrheit einfordern würden.
„Nana. Ich habe dich lieb und du wirst nie alleine sein! Aro und ich werden immer in deinem Herzen sein, so wie du in unseren bist!“ Umarmte und tröstete ich sie.
Sie versprach mir, das sie es Aro gleich nach seiner Rückkehr erzählen würde und so kam es dann auch. Aro war darüber überhaupt nicht überrascht. Wie auch? Er wuchs als Elb auf und kannte das sterbliche Gefühl nicht. Für ihn war es kaum mehr, als ein ausgesprochenes Zeugnis seiner Gefühle. Für mich war es aber bei weitem mehr. Für mich bedeutete es ein komplett neues Leben. Eines, über das ich mir erst ganz klar werden musste und auch über meine Zukunft musste ich nachdenken. Wo lag meine Zukunft? Wie würde es nun weitergehen? Ich musste über so vieles nachdenken und so zog ich mich so oft wie möglich ans Meer zurück und lies meinen Gedanken freien lauf. Lies sie ungehindert schweifen und malte mir diverse Szenen aus. Doch an die Frage, wie ich mich entschieden hätte, wenn ich es damals schon gewusst hätte, traute ich mich nicht so recht heran. Es war wohl die Angst zu erkennen, das es vielleicht noch mehr Gründe gegeben hatte, als nur diesen einen.
Großmutter drängte mich nicht nach einer Antwort. Sie sah wie sehr ich mit mir haderte. Wie sehr mich das Ganze aufwühlte und meine Gedanken und Gefühle durcheinander brachte. Doch eines Abends sagte sie dann doch etwas oder besser fragte mich etwas sehr entscheidendes.
„Minuil, wie viele Monde sind seit dem Tag vergangen, das du nun weist, das dir ein unsterbliches Leben obliegt?“ Ich musste nachdenken. Zeit war unrelevant geworden und genau auf dies wollte Großmutter hinaus. Ich hatte nicht Tage, nein, ich hatte bereits mehrere Monate damit vergeudet, über eher unwichtiges Nachzudenken, als mir über genau diese eine wichtige Frage klar zu werden. Hatte ich meine Entscheidung nur auf diese eine Grundlage gestützt?
„Zu viele!“ Antwortete ich ihr nur und darüber musste ich schmunzeln. Ich war tatsächlich in ‚Das Loch der Zeit’ gefallen, wie ich es immer nannte, wenn Elben über die Weite der Zeit sprachen. Aber ich war ja nun auch eine Elbe und war es nicht nur natürlich, das auch ich mich in der Zeit verliere? Ich gelobte meiner Großmutter, das ich mich nicht mehr so von der Zeit dahinziehen lies und konzentrierte mich nun auf die all entscheidende Frage.
Als Mensch wollte ich sie nicht ins Unglück stürzen. Ich selbst hätte nie mit dem Gedanken leben können, sie eines Tages zurück zu lassen. Diese Trauer wollte ich ihnen nicht antun.
Aber war da nicht noch mehr?
Immer wenn ich an sie dachte und an unsere Zukunft, dann war dort immer mehr!
Ich sah mich als ein Teil von ihnen.
Mehr als nur einer Freundin.
Ich sah mich als Gefährtin.
Doch als wessen Gefährtin?
Wem der Zwei gehörte mein Herz als Gefährtin?
Und wem nur als Freundin?
Ich konnte es nicht sagen!
Ich fühlte gleichsam für sie!
Aus der rationalen Sicht gesehen, war Jolan ein Schürzenjäger und unmöglich für mich zu sagen, ob sein Interesse an mich, nicht nur daher rührte, das Legolas mir den Hof gemacht hatte. War sein Interesse echt gewesen? Oder war ich für ihn nur eine Eroberung?
Und was war mit Legolas? Es war ein Spiel gewesen und ob er wahre Gefühle für mich entwickelt hatte, dem war ich mir nicht klar. Arie hatte es eine aufkeimende Liebe genannt. Doch ihre Wahrnehmung ist subjektiv. Ob unser Spiel sie beeinflusst hat?
Je mehr ich über alles nachdachte, je mehr Fragen stellten sich mir in den Weg. Doch die alles entscheidende Frage konnte ich mir nun beantworten!
Ja, es gab mehr als einen Grund, der meine Entscheidung untermauerte.
Es waren meine Gefühle gewesen, die mich ebenfalls zu dieser Entscheidung geführt hatten. Gefühle die ich damals nicht verstanden hatte und die heute mir so viele Fragen aufwarfen. Fragen auf die es hier in Sonnenlande keine Antworten gab.
Doch noch war ich nicht bereit!
Noch hatte ich nicht den Mut mich meinen Gefühlen zu stellen.
In dieser Hinsicht hatte Mutter dann doch recht. Ich war noch zu Jung, um das ganze Ausmaß abschätzen zu können.
Aber was bedeutete jetzt noch Zeit?
Ich würde noch etwas warten und reifer werden. Und dann würde ich zurück kehren.
Wenigsten diese Entscheidung konnte ich treffen.
Ich würde zurück kehren und mein Glück im Düsterwald suchen.
Meiner zweiten Heimat in der Ferne!

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