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Jan 13 2011

IceBluemchen

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15. Großmutter

Es traf uns so unerwartete in diesem kalten harten Winter.
Eines Abends kam Vater nicht nach Hause. Mutter sorgte sich. Es war nicht seine Art. Die Nacht verging, der Morgen kam und Mutter beschloss, nach ihm zu suchen. Ich war den Tag alleine mit Aro, spielte mit ihm und war glücklich. Doch der Abend zerstörte das Glück für lange Zeit.
Weinend kam Mutter heim. In ihrer Hand hielt sie Vaters Kette. Die Kette, die sie ihm damals schenkte, als sie sich kennen gelernt hatten. Nie nahm er diese ab, es war das Band zwischen ihm und Mutter.
„Mutter wo ist Vater?“ Fragte ich zögerlich. Mein Magen zog sich zusammen und es schmerzte, denn mein Herz wusste bereits die Antwort.
„Euer Vater ist von uns gegangen. Oh Minuil, er ist fort!“ Antwortete sie mir und fiel mir weinend in den Arm. Es zerriss mir das Herz und hätte ich mich nicht schon in einem tiefen dunklen Loch meiner Gefühle befunden, so wäre ich jetzt dort hineingestürzt. Wir weinten die ganze Nacht und konnten es nicht verstehen.
Viele Menschen starben in diesem Winter. Er war so kalt und lang und das Essen und die Wärme wurde knapp. Sie wurden krank und starben oder wurden von wilden Tieren angefallen, die auf der Suche nach Nahrung waren. Vater war mit dem Sohn des Königs auf einer Patrouille, als sie Kunde von einem kleinen Dorf erhielten, das von einem Rudel wilder Tiere angegriffen wurde. Sie schritten ein und erschlugen die Bestien, doch Vater wurde dabei tödlich verwundet. Er schaffte es nicht mehr Heim, konnte sich nicht von uns verabschieden. Er starb in Erfüllung seiner Pflicht. So wollte er es immer. Doch es kam viel zu früh.
Für Mutter war eine Welt zusammen gebrochen. Er war ihr letzter Halt hier in der weiten Graswüste, wie sie Rohan immer nannte. Ohne ihn hielt sie ihr Heimweh nicht mehr aus und ergab sich diesem. Als der Schnee geschmolzen war, brachen wir auf. Mutter wollte keinen Tag länger bleiben. Sie wollte fort aus dem Land, das ihr ihre große Liebe gab und wieder nahm. Sie wollte Heim. Und ich hatte nichts dagegen, das Land, das ich einst Heimat nannte, zu verlassen. Es brachte mich weit fort von dem Ort, an dem ich mein Herz verloren hatte.
Aro war nun fast drei Jahre alt, aber die Reise war lang und beschwerlich. Wir kamen nur langsam voran und mussten viel rasten. Manchmal blieben wir ein paar Tage in einem Dorf, um neue Kraft zu tanken, aber nie länger als eine Woche. An Aro seinem dritten Geburtstag erreichten wir das Meer von Gondor. Es war so weit und verlor sich am Horizont. Das Meer hatte seine ganz eigene Magie ein Herz zu berühren und für sich zu gewinnen. Ich verstand nicht wieso, aber das Meer beruhigte mein Herz und glättete die Wogen meiner aufgewühlten Gefühle. Zum ersten mal seit langer Zeit fühlte ich mich wieder unbeschwert und sogar glücklich. Unsere Reise führte uns immer südlicher an der Küste entlang. Bald wurde das grüne Land, mit weiten satten Wiesen und Wäldern karger. Es war Sommer und so wurde es auch immer heißer. Und bald erreichten wir die Lande, die Mutter stolz Heimat nannte. Eine weite goldenen Wüste, die bis ans Meer reichte. Das Dorf Sonnenlande war die einzigste Zivilisation weit und breit und lag direkt am Meer umspielt von Dünen, die mit Dünengras bewachsen waren. Ein Ring aus Palmen zeichnete die Dorfgrenze und in diesem Ring befanden sich silbrig schimmernde Holzhütten. Es verzauberte mich, nahm mich in seinem Bann. So einen Ort in dieser Unwirklichkeit hatte ich nicht erwartet. Der hauch der Unsterblichkeit der hier wohnte, war in allem zu sehen und zu spüren.
„Erulas! Minuil! Meine Kinder! Was für eine Überraschung!“ Begrüßte uns Großmutter aufgeregt und überrascht. Ich erkannte sie sofort. Sie hatte sich kaum verändert. Ihr goldenes Haar war etwas länger und sie trug es zu einem Zopf geflochten. Sie trug ein weites langes Kleid, das trotz der Weite die Eleganz einer Elbe nicht verdeckte. Großmutter schloss Mutter in den Arm, die überglücklich und gleichzeitig tot traurig wirkte.
„Aromer ist in die heiligen Hallen seiner Ahnen gezogen.“ Schluchzte sie an der Schulter ihrer Mutter, die nun Mutters Haar tätschelte und sie versuchte zu beruhigen.
„Oh Kind, das tut mir so Leid. Ich kann deinen Schmerz gut verstehen.“ Ja das konnte Großmutter. Auch sie verlor ihren geliebten Mann, der ein Mensch war, an die zerbrechliche Sterblichkeit. Mutter brauchte eine Weile, bis sie sich wieder gefasst hatte und sich dann uns zuwand.
„Mutter, Minuil hast du ja selbst schon erkannt. Aber ich möchte dir noch Aro vorstellen. Meinen Sohn.“ Sie deutete auf mich, da ich Aro auf dem Arm trug. Ich lächelte Großmutter zu, die strahlend auf uns zu schritt und nun auch Aro und mich in die Arme schloss. Aro ergriff Großmutters Zopf, spielte er doch zu gerne mit solchem, was Großmutter amüsierte.
„Ein Prachtbursche und er kommt nach seinem Großvater!“ Stellte sie fest und kitzelte ihn ab. Er lachte herzhaft und schloss Großmutter in den Arm. Er liebte sie. Aber wer liebte nicht seine Großmutter?
An diesem Tag gab es sehr viel zu erzählen. Großmutter wollte alles wissen, was sie in dem Jahrzehnt verpasst hatte und Mutter lies wirklich nichts aus. Wie Vater vergeblich versucht hat, mir das Schwimmen beizubringen und Mutter dafür nur einen Tag brauchte. Von meinem ersten eigenen Pferd bis hin zu dem Tag, wo sie erführ, das Aro unterwegs war. Ja leider auch von den zwei Elben, die ich seit einem Jahr aus meinen Gedanken verbannt hatte und nun wieder taufrisch in meine Gedankenwelt eindrangen. Zu diesem Zeitpunkt verstand ich noch nicht, warum sich Großmutters Mine für den Bruchteil eines Wimpernschlages verfinsterte, als Mutter von Ihnen berichtete und meiner Entscheidung erzählte. Mutter hatte dies wohl nicht mitbekommen oder sie schenkte dies überhaupt keiner Beachtung.
Es dämmerte bereits, als ich müde auf dem Sofa zusammensank und einschlief. Mein Traum führte mich wie immer nach Düsterwald und zu den zwei Elben, aber diesmal wirkten sie so weit weg, fast unnahbar.
Gegen Mittag weckte mich Mutter und endlich bekam ich das ganze Dorf zu gesiecht. Großmutters Hütte stand im Zentrum des Dorfes und führte direkt auf den Dorfplatz. Es war auch das größte und prächtigste Haus, da Großmutter die Dorfälteste und Clanführerin war. Um den Dorfplatz herum standen weitere prächtige Hütten, die den anderen Ältesten gehörten. Hinter diesem Ring von Prachthütten, kamen ein Ring mit Handwerkshäusern. Bäcker, Schneider, Heiler und so weiter befanden sich dort und gingen geschäftig ihrer Arbeit nach. Die letzten drei Ringe waren Wohnhäuser, wobei im äußersten Ring auch noch die Schmiede und der Zimmermann angesiedelt waren. Bis zum Palmenring gab es noch einen Streifen mit Feldern und einer Weide, auf der wenige Pferde grasten. Auch unsere zwei Pferde waren dort und stachen deutlich heraus. Die Sonnenlandepferde waren kleiner und wirkten gegenüber den Rohanpferden auch zierlicher. Das hier überhaupt etwas in der Wüste wuchs, bewirkte ein Grabensystem, in dem kühles Wasser seinen Weg suchte. Es kam aus der Quelle im Dorfzentrum und wurde durch Kanäle zu jedem Hausring geleitet, wo mehrere Brunnen verteilt standen. Sonnenlande war eine ausgeklügelte Oase der Unsterblichkeit, denn hier lebten nur Elben, auch wenn einige eher menschlich als elbisch wirkten.
Da Großmutter nun alles von uns wusste, war es an der Zeit, das Großmutter von sich erzählte. Damals war sie nur eine einfache Dorfbewohnerin, als sie Großvater kennen lernte und Sonnenlande verlies. Doch in ihrer Abwesenheit hatte sich einiges verändert. Einige Elben, darunter auch Dorfälteste, zog es ebenfalls fort von Sonnenlande in den Norden, doch Großmutter war die einzigste, die bisher zurückkehrte. Sie fand in ihrer Trauer neues Glück im Clanführer und seit er ihr Gefährte ist, ist sie eine Dorfälteste und Clanführerin. Und sie war wirklich eine der ältesten Elben hier, da sie zu den wenigen gehörte, die einst Sonnenlande entdeckten und aufbauten.
Nun sollte Sonnenlande meine neue Heimat werden. Ich wollte Sonnenlande leben und endlich den Düsterwald ganz vergessen. Und auch Rohan wollte ich vergessen. Ich wollte auch dorthin nie mehr zurück. Diese zwei Lande hatten mir das Herz gebrochen und das wollte ich nun hinter mir lassen. Und Sonnenlande war perfekt. So anders und neu, das es genau das war, was ich brauchte, um ein neues Leben zu beginnen.
Von nun an kleidete ich mich wie eine Sonnenlandelbe, lebte wie eine Sonnenlandelbe. Großmutter wollte das ich die elbische Sprache erlernte, was auch sinnvoll war, da hier nur elbisch gesprochen wurde. Und während Aro mit dieser Sprache aufwuchs, musste ich mich ganz schön abkämpfen, um sie zu lernen. Kämpfen war ein anderes Stichwort. Großvater, so nannten Aro und ich Großmutters Gefährten, sah mich eines Tages mit meinen Dolchen am Dorfrand üben. Er bot mir an, mir den Dolchkampf beizubringen und so wurde er mein Lehrmeister und ich seine wissbegierige Schülerin. Neben den Dolchen, wollte er mir auch das Bogenschießen beibringen, aber da war ich ein Hoffnungsloser Fall. Auch wenn ich es nach einiger Zeit schaffte, den Bogen ordentlich zu spannen, ich traf nur selten das Ziel. Bogenschießen war für mich eine Kunst, die eindeutig meine Fähigkeiten überstieg. Anders war es bei Aro. Er war sechs Jahre alt, als ich ihn das erste mal mit zum Training nahm und er sich als Naturtalent entpuppte. Großvater hatte ihm einen kleinen Bogen geschnitzt und ihm zum spielen gegeben. Aro sein erster Pfeil, traf auf anhieb das Ziel und auch jeder andere Pfeil traf. Ich wäre am liebsten im Boden versunken, als Großvater am Abend meinte, das Aro mit seinen erst sechs Jahren schon viel besser mit dem Bogen umgehen konnte, als ich mit meinen Mittlerweilen zwanzig Jahren. So gab ich das Bogenschießen ganz auf und widmete mich ganz meinen Dolchen. Erst als Großvater Aro seine Ausbildung zum Schwertkampf begann, lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf andere Waffen. Die Schwerter von Sonnenlande waren so ganz anders, als die aus dem Norden. Sie waren lang und schmal, dabei so leicht und filigran, das ich keine Mühe hatte es zu halten und zu benutzen. Der Stahl der Klinge war auch ganz anders. Er wies ein elegantes Muster auf und machte jedes Schwert einzigartig, ganz von der Gravur abgesehen, die jedes Schwert besaß. Die Klinge war nur auf einer Seite geschärfte und auf der anderen Seite stumpf, was einen ganz besonderen Kampfstil erforderte. Es war wie ein Tanz in dem das Schwert zum Hauptakteur erhoben wurde. Ich liebte dies Kampfart, war sie doch der dem Dolchkampf sehr ähnlich und ich lernte schnell. Schon bald bekam ich mein eigenes Schwert, das ganz auf meine Natur abgestimmt war. Das Muster der Klinge spiegelte die Wellen das Meeres wieder. Das Meer an dem ich fast jeden Abend saß und mich in die Ferne verlor. Die Gravur bestand hauptsächlich aus Blattranken und dem Namen des Schwertes, „Meeresgrün“!
So verging die Zeit, die ich in Sonnenlande fast gar nicht wahrnahm. Es gab keinen deutlichen Sommer oder Winter. In der Zeit des Winters regnete es ab und an, aber das war auch schon der größte Unterschied. Zeit war hier auch ein weiter Begriff. Elben dachten in ganz anderen Dimensionen von Zeit, als ein Mensch es sich auch nur im entferntesten vorstellen konnte. Sie nahmen sich für Vieles viel mehr Zeit. Ausbildungen dauerten oft Jahrzehnte, was für einen Menschen undenkbar wäre, da er ein Greis wäre, bis er ausgelernt hätte.
Aro war bereits zu einem jungen stattlichen Mann herangewachsen. Würde es hier Frauen in seinem Alter geben, sie wären bestimmt alle hinter ihm her gewesen. Aber auch die wenigen älteren Frauen ohne Gefährten machten ihm schöne Augen und versuchten ihr Glück. Er war so viel elbischer. Seine Wesenszüge, seine Art sich zu bewegen und zu sprechen. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich ihn für einen Elben gehalten und nie für einen Menschen.
Doch wusste ich es besser?
Schon seit einiger Zeit war mir aufgefallen, das ich mich nicht veränderte. Und nicht nur dies, Mutter würde bald ihren sechzigsten Geburtstag begehen, doch sie sah noch immer so aus, wie an dem Tag, als wir Rohan verließen. Sie war um keinen Tag gealtert. Und ich? Ich hatte meinen dreißigsten Winter hinter mich gebracht, doch ich sah nicht so aus. Ich fühlte mich auch nicht so. Seit ich in Sonnenlande war, seit ich lebte wie eine Sonnenlandelbe, seit dem fühlte ich mich anders. Damals begriff ich es nicht, aber jetzt, Jahre später, keimte in mir ein Verdacht auf. Ein Verdacht der sich für mich im ersten Moment so unglaublich erschien. Aber er war eine mögliche Erklärung dafür, was ich seit einiger Zeit beobachtete.
Mir wurde klar, das die Zeit gekommen war, meinen Verdacht bestätigt zu wissen oder ihn ein für alle mal aus der Welt zu verbannen. Es wurde Zeit, mit Mutter und Großmutter zu sprechen!

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