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Jan 13 2011

IceBluemchen

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03. Streit und Liebe

Legolas erzählte mir später, dass ich mich den ganzen Tage lang übergeben hatte. Mir selber kam es gar nicht so lange vor, aber meine Erinnerung war auch sehr getrübt und wirr.
Ich hörte Stimmen, weit weg. Wie durch einen dichten Nebel drangen sie langsam zu mir hindurch. Worte, in einer anderen Sprache. Unverständlich. Unwichtig. Ich wollte nur diese Übelkeit loswerden. So übel. Doch jemand rüttelte an meiner Schulter, zwang mich zu Besinnung zu kommen.
Widerwillig hob ich langsam meine Kopf. Alles war trüb verschleiert. Ich blinzelte und sah schemenhaft meinen Vater, der über mich gebeugt dastand, die Hand noch immer auf meiner Schulter.
„Minuil? Schatz?“
„Sie ist wohl fertig!“
Fertig? Nein! Meinen Eimer gebe ich noch nicht her! Da ist noch zu viel Unmut in meinem Bauch…
Mein Kopf dröhnte und vor meinen Augen flimmerte es. „Man mathach?“* Flüsterte eine wohlbekannte Stimme und hinter meinem Vater tauchten die blonden Haare Legolas auf. Ich blinzelte ein paar Mal und konnte ihn nun besser erkennen. Langsam kam wieder Leben in mich, doch die Übelkeit blieb und höllischen Kopfschmerzen kamen dazu. Ich versuchte mich an einem Lächeln, weil ich die Sorge aus den lieben Gesichtern vor mir vertreiben wollte. Doch anscheinend glückte mir das Lächeln nicht ganz. Mein Vater und Legolas sahen mich nur noch besorgter an.
„Wie geht es dir?“ Mein Vater strich mir die Haare aus der Stirn.
„Ganz gut.“ Log ich und versuchte meinen Kopf nicht zu viel zu bewegen. „Was ist denn überhaupt passiert?“
„Nun ja, die Beere, die du gegessen hast…“ Begann mein Vater und ich bemerkte, wie Legolas schuldbewusst den Kopf wegdrehte.
Mein Vater erklärte mir, dass es sich bei dieser Beere wohl um ein ziemlich giftiges Sorte gehandelt hatte und das die Elben in der Heilstätte gesagt hätten, dass ich wirklich verdammtes Glück gehabt hätte. Für Menschen war das Gift in der Regel tödlich. Die Elben stellen aus diesen Beeren Pfeilgift usw. her. Aber da ich nur eine Beere gegessen und Legolas so schnell reagiert hatte und mich zu Mereen den Heiler gebrachte, konnten sie das Schlimmste abwenden. Sie hatten mir einen Trank gegeben der mich die Beere ausspucken lies. Toll, darum hing ich als den ganzen Tag über meinen geliebten Eimer…
„Na ja, da hab ich dem elbischen Blut in meinen Adern ja doch noch etwas zu verdanken.“ Stellte ich amüsiert, aber auch erleichtert fest.
„Elbisches Blut? Aber du… Ihr seid doch aus Rohan?“ Verdutzt lugte Legolas über die Schulter meines Vaters.
„Ja, in der Tat. Aber meine Mutter hat elbische Vorfahren. Deswegen fließt auch in meinen Adern ein Teil des elbischen Blutes.“ Erklärte ich leichthin. Hatte er das nicht gewusst? Hatte Vater das nie erwähnt?
„Dies hat euch tatsächlich das Leben gerettet, aber nun braucht ihr Ruhe. Gift ist zwar nicht in eurem Körper, aber ihr seit durch die Behandlung geschwächt.“ Eine resolut aussehender Elb, allem Anschein nach der Heiler Mereen, schob meinen Vater und den Prinzen ohne ein Fünkchen Respekt vor der königlichen Hoheit aus meinem Zimmer. Bald darauf verfiel ich in erschöpften Schlaf, worüber ich sehr dankbar war, denn so verschwand auch langsam die Übelkeit aus meinem Bauch und der Schmerz aus meinem Kopf.
Am nächsten Tag wagte ich meinen ersten Ausflug wieder in den Garten. Mir ging es viel besser. Die Kopfschmerzen legten sich von Stunde zu Stunde mehr, Übelkeit hatte ich keine mehr und langsam schien neue Kraft in meinen Körper zu fließen, auch wenn ich noch etwas wackelig auf den Beinen war. Die frische Luft und die wärmende Sonne taten mir gut und zufrieden ließ ich mich in einer kleiner Pavillon nieder, die in blühenden Sträucher getaucht war. Bienen surrten von Blüte zu Blüte, ein leichter Wind umwehte die Sträucher und ließ die Blätter rascheln und trug den süßen Duft der Blüten in mein Gesicht. Wohlig schloss ich die Augen und lauschte den Lauten des Windes. Ich war leicht eingeschlummert, bis aufgebrachte Stimmen die Idylle zerstörten. Sie schienen vom Schloss zu kommen und wurden immer lauter.
Ohne genau zu wissen warum, kauerte ich mich tiefer in den Pavillon hinein und verharrte erst mal still. Schritte kamen näher, ein Streit auf elbisch war zu hören. Als die beiden Elben, die sich da gerade in den Haaren hatten, in mein Blickfeld kamen, blieben sie stehen, bemerkten mich jedoch nicht. Wenig verstand ich von dem Streit zwischen Thranduil und seinem jüngsten Sohn. Jedoch reichten die paar Brocken elbisch die ich konnte aus, um zu erkennen, dass es um mich ging. Mehrmals fiel mein Name… Ein unbehagliches Gefühl nahm von mir Besitz, angestrengt bemühte ich mich, mehr vom Gespräch zu verstehen, ohne gleich entdeckt zu werden. Aber ich konnte einfach keinen Sinn in die Worte bringen. Jedoch hatte ich Legolas noch nie so aufgebracht gesehen! Er rief noch ein paar Worte zu seinem Vater gewandt, dann drehte er sich auf der Hacke um und stürmte wütend Richtung Schlossteich davon. Thranduil sah ihm kopfschüttelnd nach, wandte sich dann seinerseits ebenfalls um und ging den Kiesweg zurück zum Schloss. Ich saß verdattert in meinem Versteck und tausend Gedanken schwirrten mir auf einmal durch den Kopf. Ohne jedoch recht darüber nachzudenken, stand ich auf und stürzte dorthin, wo Legolas Augenblicke zuvor verschwunden war. Ich lief ihm nach und meine Neugier trieb mich an.
Schließlich fand ich ihn am Ufer des Teiches sitzen. Voller Zorn schmiss er Steinchen auf die Wasseroberfläche und brummelte irgendetwas in sich hinein. „Legolas?“ Vielleicht war es ja keine gute Idee, ihn anzusprechen, aber ich musste einfach wissen, was los war. In den vergangenen Tagen war mir dieser Elb ans Herz gewachsen, ich wollte nicht, dass er womöglich noch wegen mir Streit mit seinem Vater hatte.
„Minuil. Setz dich. Ich wusste, dass du kommst.“ Ich schaute ihn verdutzt an.
„Warum wusstest du es?“ Ich ließ mich neben ihn in das grüne Gras nieder. Legolas tippte sich an seine spitzen Ohren.
„Du vergisst, dass Elben besser hören und sehen als Menschen. Ich wusste, dass du in dem Pavillon warst.“ Oh, daran hatte ich gar nicht gedacht; mir stieg die Röte ins Gesicht.
„Ich wollte euch nicht belauschen.“
„Ich weiß.“ Stumm saßen wir eine Zeit lang nebeneinander und beobachtete die Wasseroberfläche. Libellen schwirrten über das Wasser, hier und da waren kleine Fischschwärme zu erkennen und irgendwo musste ein Frosch versteckt sitzen, denn leises gequarke war zu hören. Schließlich brach ich das Schweigen: „Worum ging es in dem Streit?“
„Hast du es nicht verstanden?“
„Nein, mein elbisch ist nicht besonders gut. Aber es ging um mich, nicht wahr? Mein Name viel recht oft!“
Legolas nickte. „Ja, mein Vater und Jolan geben mir die Schuld daran, dass du fast gestorben wärst und wahrscheinlich haben sie auch Recht damit.“ Er schnippte ein weiteres Steinchen in den Teich und verscheuchte einen Schwarm Fische, der panisch auseinander stob.
Fassungslos sah ich ihn an. „So was darfst du gar nicht denken! Du hattest doch keine Schuld daran!“
„Doch, ich war für dich verantwortlich!“ Beharrte Legolas und sah mich zum ersten Mal an. Sein Gesicht hatte den typisch gleichgültigen Ausdruck verloren, seine Augen waren voller Schuldgefühle. Es brach mir fast das Herz ihn so zu sehen.
„Aber wer kann denn ahnen, dass ich so dumm bin, einfach irgendwelche Beeren zu essen?“ Versuchte ich ihn aufzumuntern und rückte etwas näher. Am liebsten hätte ich diesen Elben in meine Arme genommen, aber das traute ich mich dann doch nicht. Schließlich war er immer noch ein Prinz von Düsterwald.
„Ich hätte dich nicht aus den Augen lassen sollen. Ich hätte dir sagen sollen, das du hier nichts unbekanntest Essen darfst!“
„Du tust gerade so, als wäre ich ein Kleinkind! Ich bin selbst für die Dinge verantwortlich, die ich mache.“ Entrüstete ich mich. Ich wurde schließlich bald 18.
Legolas schwieg eine Weile, dann strich seine Hand über meine Wange. „Du bist noch so jung.“ Wie erstarrt saß ich da, wagte nicht, mich zu bewegen. Die Berührung war wie ein Hauch auf meiner Haut und löste ein Kribbeln aus.
„Aus elbischer Sicht vielleicht.“ Brachte ich zittrig hervor und schon war die flüchtige Berührung des Elben vorbei.
„Stimmt! Ihr Menschen werdet viel schneller erwachsen als wir. Habt weniger Zeit zu reifen. Weniger Zeit zum lernen.“ Nachdenklich sah er wieder aufs Wasser. Irgendetwas bedrückte ihn noch, etwas, was gar nichts mit meinem kleinen Missgeschick zu tun hatte, das spürte ich.
„Aber da ist noch etwas, was deinen Sinn betrübt, Legolas?“ Fragte ich vorsichtig. Legolas lächelte mich schwach an. „Dein Elbenblut macht sich in deiner scharfen Beobachtungsgabe bemerkbar.“ Er schwieg eine Weile bis er fort fuhr. „Mein Vater hört nicht auf, mich zu drängen. Zu groß ist sein Wunsch mich glücklich zu sehen.“
„Ich verstehe nicht ganz…?“
„Er drängt mich schon seit geraumer Zeit, ich solle mir endlich eine Frau nehmen oder zumindest eine Gefährtin und glücklich zu sein.“ Nun ja, an sich war das ja nichts Schlechtes.
„Und warum tust du es nicht?“
„Weil mein Herz bisher niemanden gefunden hat, mit dem es bereit wäre die Ewigkeit zu teilen.“ Erklärte er. „Doch mein Vater kann es nicht verstehen. Seit mehr als ein halbes Jahrtausend stellt er mir eine Frau nach der anderen vor, versucht mich zu verkuppeln und lässt nicht locker. Deswegen war ich auch anfangs über euren Besuch nicht erfreut, da ich dachte, du wärest die nächste Kandidatin, die Vater für mich ausgesucht hat. Verzeih mein anfängliches Benehmen.“ Jetzt verstand ich ihn.
„Schon gut, aber gab es denn nie jemanden, den du geliebt hast? In all den Jahren?“ Ich konnte es nicht glauben! Wie traurig! Da lebte dieser Elb schon seit weit mehr als tausend Jahren und nie hatte er die Liebe erfahren?
„Nein! Nicht so, wie es sich mein Vater wünscht. Nicht so, wie es mein Volk von mir erwartet. Ich hatte Freunde, sogar einen besten Freund. Aber es wurde nie mehr daraus!“ Erklärte Legolas schließlich.
„Warum?“ Ich wurde immer neugieriger.
„Nun ja, das kann ich nur schwer erklären.“ Setzte Legolas mit einer Erklärung an. „Ich war gerne mit ihnen zusammen. Ich ging gerne mit ihnen auf Streifzüge oder wir verbrachten unsere Zeit mit anderen Dingen. Aber meine Gefühle waren immer nur freundschaftlich. Nicht das einige meiner Freunde nicht an mir interessiert waren, aber ich sah sie nie so, wie sie mich sahen. Und letztendlich zerbrachen die Freundschaften oft daran, das sich ihre Gefühle so änderten. Ich konnte es nie ertragen, sie leiden zu sehen. Ja sie litten, da ich ihre Liebe nicht erwiderte.“ Traurig schaute ich Legolas an. Er hatte wirklich noch nie die Liebe erfahren, aber er hatte viele gebrochene Herzen hinterlassen. Herzen, die seine Seele belasteten.

* „Man mathach?“ – „Wie geht es dir?“

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